geschichte zeitzeuge rehbeinPolitische Verfolgung - Zeitzeugengespräch mit Günther Rehbein im Rahmen des Projekttags der 10. Klassen am 11. April 2014

 „In Russland hat man keine Gaskammern gebraucht, dort reichte das Klima..."
Günther Rehbein

 „Sie führten ihn ab wie einen Staatsfeind. Die Männer vom Betriebsschutz des Modedruckwerks Gera packten ihn, zogen ihn fort von seinem Arbeitsplatz und verfrachteten ihn in ein bereitstehendes Auto der Staatssicherheit. Er wusste nicht, dass man ihn der sowjetischen Kommandantur übergeben würde. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was ihm widerfuhr. Damals, im Jahre 1952, war Günther Rehbein erst 19 Jahre alt." (aus Neumann, Just: "Marionettentanz - Ein DDR-Bild", ISBN: 978-3-8370-6144-4 zit. nach Spiegel Online Archiv)
Eine Horrorvorstellung für jeden freien Bürger, der es gewohnt ist, Grundrechte zu haben: Als 19-Jähriger wurde der DDR-Bürger Günter Rehbein 1952 von der sowjetischen Besatzungsmacht zu Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt. Davor war er in Verhören geschlagen und erniedrigt worden, erlebte wochenlang Isolierhaft in einer Zelle ohne Fenster und Wärmeentzug, manchmal ohne Essen und Trinken, und blickte mehrfach dem Tod in Gestalt einer Maschinenpistole ins Auge, ja wünschte sich für Momente gar, man möge ihn endlich durch einen Schuss von seinen Qualen erlösen. Was man ihm vorwarf: Er solle geplant haben, die sowjetische Kommandantur in Gera in die Luft zu sprengen. Ein absurd anmutender Vorwurf, zumal Rehbein Frau und Kind zu versorgen hatte. Der eigentliche Grund war wohl eher, dass er einem Bekannten gegenüber die als Reparationsleistung gedachte Demontierung von Gleisanlagen und Industriebetrieben in der DDR durch die Sowjets kritisiert hatte, und dieser ihn bei der Stasi angezeigt hatte.
Günther Rehbein weigerte sich zunächst, ein mehrseitiges, in russischer Sprache verfasstes Protokoll - ein sogenanntes „Geständnis" - zu unterschreiben. Dies brachte ihm verschärfte Haftbedingungen und Folter ein. Herr Rehbein unterbricht seinen Vortrag und hebt die beiden Daumen seiner Hände vor den Schülern in die Höhe: Der linke Daumen ist fast einen Zentimeter kürzer als der rechte und sein Nagel verkrümmt – bei einem der Verhöre war ihm die linke Daumenkuppe abgeschlagen worden – und nur weil eine Wache ihm heimlich etwas Verbandszeug zugesteckt hatte, habe er damals überhaupt den Blutfluss ein wenig unter Kontrolle bringen können. Beim Ablösen des blutdurchtränkten Verbandes aber sei die Daumenspitze dann verloren gegangen...
Aus Furcht, dass auch seine Frau unter Druck gesetzt würde, unterschrieb Günther Rehbein dann doch das für ihn unverständliche russische Protokoll und wurde daraufhin von einem russischen Militärtribunal (d.h. unter Ausschluss der Öffentlichkeit) zu 45 Jahren Zwangsarbeit im Bergwerk im berüchtigten sibirischen Straflager Workuta nördlich des Polarkreises verurteilt. Ihm wurde in Aussicht gestellt, nach 25 Jahren zurückkehren zu dürfen, wenn er sich klar zum Sozialismus bekennen würde. Im Lager, eigentliche eine Ansammlung von Lagern, traf er auf verheerende Bedingungen einerseits, aber auch Kameradschaft vor allem unter den deutschen Gefangenen – es waren ungefähr 60 Deutsche dort – andererseits. Etwas besser als diesen ging es den russischen Kriminellen. Herr Rehbein berichtet: „Diese waren unsere Vorgesetzten..." Aufgrund des Nahrungs- und Vitaminmangels fielen den meisten bald schon alle Zähne aus. Die Außentemperaturen betrugen die meiste Zeit des Jahres 60 Grad Minus. Außerdem war es die Hälfte des Jahres den ganzen Tag über stockdunkel. Als sich die Lage zuspitzte und die Gefangenen sich weigerten weiterzuarbeiten, kommt es zu einem Massaker: Herr Rehbein berichtet, wie das Feuer auf wehrlose Gefangene eröffnet wurde und am Ende 60 Tote auf dem Boden lagen und es 120 Schwerverletzte gab.
Nachdem Bundeskanzler Konrad Adenauer im Jahr 1955 in Moskau von Chruschtschow die Zusage erwirkt hatte, dass alle deutschen Kriegsgefangenen die Sowjetunion verlassen dürfen, wurde auch Günther Rehbein als politischer Gefangener zwar freigelassen, aber damit war sein Leidensweg noch nicht beendet: Seine Frau war unterdessen mit einem anderen Mann liiert und hatte sein zweites Kind, einen Sohn, zur Adoption freigegeben, da ihr neuer Lebenspartner keine zwei Kinder wollte. Rehbein durfte seine Kinder nie sehen. Gesellschaftlich gesehen galt er als „Klassenfeind" ohne berufliche Perspektiven außer unqualifizierten, schmutzigen Hilfsarbeiten. Angebote der Stasi, für sie zu arbeiten und damit sein Los zu bessern, lehnte er kategorisch ab.
Günther Rehbein dazu: „Man versuchte mich als Spitzel für die Staatssicherheit zu werben. Da ich mich nicht beugte, stellte man mich immer wieder politisch zur Rede. Die DDR-Behörden beschränkten meine Aufenthaltsrechte. Es folgten brutale Eingriffe in mein Leben." Als er auf jenen Bekannten trifft, der ihn einst bei der Stasi angezeigt hatte, reißt er ihm im Affekt die Parteinadel vom Revers. Jetzt hatte die Stasi natürlich den längst gesuchten „juristischen Anhaltspunkt", nämlich den „Diebstahl" einer Parteinadel. Und dies, so Herr Rehbein, „führte dazu, dass ich 1968 abermals zu 4 Jahren Bautzen (berüchtigtes Zuchthaus in der DDR) verurteilt wurde."
Auch nach seiner späteren Entlassung blieb er kein freier Mensch. Herr Rehbein, der zunächst einen kleinen Dokumentarfilm über sein Leben vorführt, dann aus seinem Buch „Gulag und Genossen" vorliest, greift nun zur Kopie seiner Stasi-Akte, um uns daraus wortwörtlich vorzulesen, wie von IMs (Informellen Mitarbeitern) jeder seiner Schritte überwacht und registriert wurde: So wurde allein, um den Inhalt seiner Brieftasche auszuspionieren, eigens einmal eine attraktive Informelle Mitarbeiterin auf ihn angesetzt, um ihn zu einem nächtlichen Rendezvous in einem Hotel zu bewegen, wo nach dem Genuss einer Flasche Sekt sich dann auch eine gute Chance der erfolgreichen Erledigung ihrer Mission fand...
Zwei schönste Tage aber habe es auch in seinem Leben gegeben, endet Herr Rehbein dann seinen Vortrag: Die „Wende" 1989 mit den Tagen von Leipzig und ein Treffen mit seiner Tochter, der man ein Leben lang erzählt hatte, ihr Vater sei ein Verbrecher, und die er 2011 erstmals seit 56 Jahren wieder in seine Arme schließen konnte.
Herr Rehbein kommt als Vertreter des Koordinierten Zeitzeugenbüros * auch mit einer politischen Botschaft: Der Warnung vor dem Kommunismus einerseits und dem Bedauern über die oft versäumte Aufarbeitung vieler Verbrechen, die in der DDR begangen wurden, andererseits. In Gesprächen mit hohen Politikern äußerte Herr Rehbein kritisch, dass teilweise Menschen, die für das Unrecht in der enemaligen DDR verantwortlich gewesen waren – also keineswegs nur die „Stasi", sondern deren politische Auftraggeber – oft genug in Amt und Würden geblieben sind bzw. im Deutschen Bundestag für die „Neue Linke" aktiv sein können. Ein Tatbestand, über den man sich auch als Geschichts- und Sozialkundelehrer nur immer wieder wundern kann, aber wie z. B. die sog. "Mauerschützenprozesse" zeigten, ist der juristische Einzelnachweis eben oft sehr kompliziert.

Nach großem Applaus der Schüler, die respektvoll zugehört haben und erschüttert waren von einem Schicksal, wie es sich leider zu tausenden abgespielt hat, steht Herr Rehbein noch für Fragen zur Verfügung. Einige besonders wissbegierige Schülerinnen umringen Herrn Rehbein, weil sie immer noch ein paar Fragen haben, vor allem, wie jemand so etwas überhaupt durchhalten kann.
Dann verlässt uns Herr Rehbein: Erstaunlich rüstig und vital für einen Menschen, der es im Leben wirklich nicht leicht gehabt hat. Seine Botschaft lautet: Nie wieder Kommunismus, nie wieder Diktatur. Heute reist er quer durch ganz Deutschland und nach Österreich, um diese Botschaft zu vermitteln, im eigenen Wohnwagen übrigens, der heute in Thalkirchen steht, und mit dem er morgen zurück in seine Heimatstadt Gera fahren wird.
Vielleicht bis zum nächsten Jahr!

Für die Fachschaft Geschichte
Stephan Fritz


*Kooperationspartner des koordinierten Zeitzeugenbüros sind die Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, sowie die Stiftung Berliner Mauer. Ziel ist es, durch die Organisation und Finanzierung von Zeitzeugengesprächen Schülern die jüngste deutsche Vergangenheit näherzubringen.
Quellen siehe auch: Günther Rehbein: Ein schreckliches Urteil – youTube sowie Spiegel-Online