Solidarität und demokratische Werte
„Es ist beschämend, dass der Staat die Persönlichkeitsrechte von Rechtsradikalen höher wertet als die der Opfer und ihrer Angehörigen, deren Fragen nie beantwortet werden. Mein Vertrauen in die Behörden ist verloren gegangen. Wir sind gescheitert.“ – Dieses deprimierende Fazit zieht Seda Başay-Yıldız am Ende ihres Gesprächs mit der 11. Jahrgangsstufe über den NSU-Prozess.
Seda Başay-Yıldız ist die Rechtsanwältin, die die Familie von Enver Şimşek, den die rechtsterroristische Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) am 11. September 2000 als erstes von neun Opfern der NSU-Mordserie aus rassistischen Motiven ermordet hatte, vor dem Oberlandesgericht München vertreten hat. Im Schuljahr 2020/2021 sind Schülerinnen und Schüler der damaligen Klasse 10a der Rechtsanwältin im Rahmen der Dokumentation „Der NSU-Prozess und die Opfer - Das lange Leiden der Angehörigen“ im Unterricht bei Herrn Schittler begegnet. Die Dokumentation hat die Klasse so tief bewegt, dass die Schülerin Denies Mustafa aus der Q11 die Initiative ergriffen und einen Brief an die Familien der Opfer aufgesetzt hat, den alle Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe unterschrieben haben. Aus diesem Brief entwickelte sich ein reger Kontakt mit Eva Frisch vom BR, die an der Entstehung der Dokumentation mitgewirkt hat, und schließlich auch mit Seda Başay-Yıldız.
Am 30.06.2022 kam sie zusammen mit der Eva Frisch an das Theresien-Gymnasium München und zusammen lieferten beide beeindruckende Innenansichten zu einem der größten Prozesse der Bundesrepublik Deutschland, die einen auch immer wieder fassungslos machten. Zwar wurde Beate Zschäpe vom NSU am Ende zu einer lebenslänglichen Haft verurteilt, aber die Staatsanwaltschaft hat es nicht geschafft, die rechtsextremen Strukturen hinter der Terrorgruppe aufzudecken. Die Rechtsanwältin ist überzeugt, dass es in Bayern ein Netzwerk an Unterstützern für die Täter gegeben hat, die in Nürnberg und München fünf Menschen erschossen haben. Aufgedeckt wurde dies aber nicht – im Gegenteil, immer wieder behindert der Verfassungsschutz z.B. durch die Sperrung von Akten die Aufklärung. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte damals restlose Aufklärung versprochen, die Fragen der Angehörigen der Opfer wurden aber am Ende kaum beantwortet. Beeindruckend war die Kraft, die Seda Başay-Yıldız ausgestrahlt hat. Trotz der Niederschläge, trotz einer Bedrohung durch den NSU 2.0 kämpft sie weiter für die Familien der Opfer: „Wenn sie die Menschen persönlich kennenlernen, gibt ihnen das Kraft. Es ist unglaubliches Unrecht geschehen. Man kann die Familien nicht auf halbem Wege stehen lassen. Man schuldet ihnen Antworten auf ihre Fragen. Ich glaube ja noch an unseren Rechtsstaat.“ Am Ende des Gesprächs hat sie noch eine zentrale Botschaft für die Schülerinnen und Schüler: „Es braucht Leute, die den Staat immer hinterfragen, Solidarität zeigen und demokratische Werte zeigen.“ Eva Frisch und Seda Başay-Yıldız nehmen sich im Anschluss sogar noch 45 Minuten mehr Zeit für weitere Fragen von Schülerinnen und Schüler, die sich ebenso beeindruckt zeigten wie die Lehrkräfte.