„Das Leben ist eine feine Sache“ - Zeitzeugengespräch mit Abba Naor am 12.12.2022 am Theresien-Gymnasium München
„Das Leben ist eine feine Sache“, sagt Abba Naor. Er wiederholt diesen Satz oft während seines zweistündigen Besuchs der neunten Klassen des Theresien-Gymnasiums München am 12.12.2022. Warum ihm, dem fast 95-Jährigen, diese Botschaft wichtig ist, wird an diesem Tag jedem klar.
Abba Naor berichtet in sachlichem Ton, aber eindrücklichen Worten über das Leben im Ghetto in Litauen, nachdem die Nationalsozialisten 1941 dort einmarschiert sind, als er gerade einmal 13 Jahre alt ist. Sein älterer Bruder wird erschossen, als er versucht, für die Familie Nahrungsmittel in den umliegenden Dörfern zu bekommen. Abba Naor schildert in drastischen Bildern den Überlebenskampf in den Konzentrationslagern, in denen das „Überleben reiner Zufall“ war. Er fasst in Worte, was kaum in Worte zu fassen ist: den Holocaust, dem große Teile seiner Familie zum Opfer gefallen sind. Am 26. Juli 1944 wird seine Mutter mit dem jüngeren Bruder nach Auschwitz abtransportiert. Er sah sie nie wieder. Er hat überlebt – und durchlebt doch jede Nacht wieder das Grauen der Zeit, in der sie als Juden „jeden Tag zum Tode verurteilt waren“.
Sein Ziel ist es, die Erinnerung an diese Zeit der Menschen- und Lebensverachtung wachzuhalten, um dazu beizutragen, dass sich dies nie wiederholen kann – und dass jedem bewusst wird, wie „fein“ das Leben ist. Das Leben in Freiheit, das einem alle Möglichkeiten lässt und das allen Menschen gleichermaßen zustehen sollte.
Für ihn sind die Besuche in der Schule eine Therapie. Die Schülerinnen und Schüler sind es, die ihm immer wieder neue Kraft spenden. Er, der trotz allem nicht verbittert ist, spendet zugleich mit seiner Friedensbotschaft den Schülerinnen und Schülern viel Kraft. Abba Naor ist einer der letzten Zeitzeugen des Holocausts, der noch aktiv in die Schulen geht. Ihn zu erleben, war etwas ganz Besonderes.
Florian Worbs